Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Referentenentwurf

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am 13. September 2022 überraschend entschieden (Az.: 1 ABR 22/21), dass Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Seit der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG im Dezember (siehe bvdm-Nr.-Rundschreiben SP 72/2022 vom 8. Dezember 2022) gab es Ankündigungen aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS), die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit im Arbeitszeitgesetz neu zu regeln.

Am 18. April 2023 hat das BMAS einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften vorgelegt, den wir Ihnen als Anlage übersenden. Der Entwurf befindet sich unserem Kenntnisstand nach in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Eine Verbändeanhörung ist noch nicht eingeleitet.

I. Wesentlicher Inhalt des Referentenentwurfs

Der Entwurf umfasst neben Änderungen des Arbeitszeitgesetzes Änderungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes und der Offshore-Arbeitszeitverordnung. Wir konzentrieren uns in diesem Rundschreiben auf die Änderungen des Arbeitszeitgesetzes:

1. Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung

§ 16 Abs. 2 ArbZG wird dahingehend geändert, dass generell Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen sind.

Nach der Begründung ist eine bestimmte Art der elektronischen Aufzeichnung nicht vorgeschrieben. Neben Zeiterfassungsgeräten oder Apps kommt auch die Nutzung von Tabellenkalkulationsprogrammen in Betracht. Ferner soll auch eine kollektive Arbeitszeiterfassung durch Nutzung elektronischer Schichtpläne möglich sein, wenn sich aus dem Schichtplan für den einzelnen Arbeitnehmer Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ableiten lassen und Abweichungen (z. B. Urlaub, Fehlzeiten, zusätzliche Arbeit) gesondert elektronisch erfasst werden.

2. Ausnahmen und Übergangsfristen hinsichtlich der elektronischen Erfassung

Für Arbeitgeber, die nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen, soll die Verpflichtung zur Erfassung in elektronischer Form nicht gelten, in diesen Unternehmen soll eine Erfassung auf Papier ausreichen. Für alle anderen Arbeitgeber sind hinsichtlich der elektronischen Form Übergangsvorschriften ab Inkrafttreten des Gesetzes vorgesehen:

– für Arbeitgeber ab 250 Arbeitnehmern ein Jahr, – für Arbeitgeber mit 50 bis 249 Arbeitnehmern zwei Jahre, – für Arbeitgeber mit 11 bis 49 Arbeitnehmern fünf Jahre.

3. Erfassung durch Arbeitnehmer und Vertrauensarbeitszeit

In § 16 Abs. 3 ArbZG wird klargestellt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer selbst oder auch einen Dritten mit der Aufzeichnung der Arbeitszeit beauftragen kann. Wenn die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst erfassen (etwa durch Eintrag in eine Tabelle auf ihrem PC oder eine App), so kann der Arbeitgeber nach dem neuen § 16 Abs. 4 ArbZG auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten (Vertrauensarbeitszeit). Dabei muss er aber dennoch sicherstellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeitszeit und der Ruhezeiten bekannt werden.

4. Dokumentation und Aufbewahrungsfrist

Es ist vorgesehen, dass der Arbeitgeber Arbeitszeitnachweise nach § 16 Abs. 2 Satz 3 ArbZG für mindestens zwei Jahre aufbewahren muss. Nach § 16 Abs. 5 ArbZG soll der Arbeitnehmer eine Information über die aufgezeichneten Arbeitszeiten verlangen können. Der Arbeitgeber soll ihm auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnung zur Verfügung stellen.

5. Abweichungen durch Tarifvertrag

In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung können nach § 16 Abs. 7 ArbZG Abweichungen vereinbart werden:

– von der elektronischen Form, – von dem Zeitpunkt der Aufzeichnung in einem Zeitraum von bis zu sieben Tagen, – für Arbeitnehmer, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann.

6. Ordnungswidrigkeiten

Verstöße gegen die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung sowie gegen die Pflicht, dem Arbeitnehmer Informationen oder Kopien zur Arbeitszeitaufzeichnung zukommen zu lassen, sollen künftig eine Ordnungswidrigkeit darstellen.

7. Ausnahmevorschriften §§ 18 ff. ArbZG

Die Ausnahmevorschriften der §§ 18 ff. ArbZG, beispielsweise für leitende Angestellte, sollen unverändert bleiben.

II. Erste Bewertung des bvdm

Insgesamt ist der Entwurf nicht geeignet, die Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgebern an flexiblen Arbeitszeitregelungen zu erfüllen. Er beschränkt sich auf Regulierungen und neue Bürokratie. Entgegen den Ankündigungen des Koalitionsvertrags werden die Flexibilisierung der Höchstarbeitszeit bzw. der Ruhezeiten nicht angegangen. Das ist angesichts des Wortlauts der Koalitionsvereinbarung nicht verständlich.

Aus Sicht des bvdm muss über die Ausnahme für Kleinbetriebe hinaus auch weiterhin eine Erfassung der Arbeitszeit ohne elektronische Hilfsmittel möglich sein. Die Pflicht zur elektronischen Erfassung ist ebenso wie die Erfassung noch am selben Tag nicht nur von der Arbeitszeit- oder der Arbeitsschutzrichtlinie nicht gedeckt, beides entspricht darüber hinaus auch nicht der Rechtsprechung von EuGH und BAG.

Die Möglichkeit, Aufzeichnungspflichten auf den Arbeitnehmer zu übertragen, entspricht der bisherigen Rechtslage. Insoweit handelt es sich um eine reine Klarstellung. Unklar bleibt dagegen in der Regelung zur Vertrauensarbeitszeit, wie weit die Kontrollen zu reichen haben.

Die vorgesehene Abweichungsmöglichkeit beschränkt sich derzeit auf Tarifverträge (die für Betriebsvereinbarungen Öffnungen enthalten können). Sie soll – abweichend zu der bisherigen Systematik des Arbeitszeitgesetzes – nur für tarifgebundene Arbeitgeber gelten. Hier sollte aus Sicht des bvdm eine Verweisungsmöglichkeit auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber geschaffen werden.

Über das weitere Gesetzgebungsverfahren werden wir Sie unterrichten. (bvdm)

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